Das Memorial. Roman by José Saramago

Das Memorial. Roman by José Saramago

Autor:José Saramago [Saramago, José]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783455810431
Herausgeber: Hoffmann und Campe
veröffentlicht: 2014-02-06T05:00:00+00:00


Sie sagen, das Königreich werde schlecht regiert, in ihm fehle die Gerechtigkeit, sie merken nicht, dass diese so ist, wie sie zu sein hat, mit Binde vor den Augen, mit Waage und Schwert, was möchten wir außerdem?, die Weber der Binde sein, die Eicher der Waage und die Schwertschmiede?, immerzu die Schadstellen stopfend, die Gewichtsverluste ausgleichend, die Schneiden schärfend, und endlich den Beklagten fragen, ob ihn der Richtspruch versöhnlich stimmt, mag er den Prozess gewonnen oder verloren haben. Von den Gerichten der Heiligen Inquisition ist hier nicht die Rede, diese hat die Augen sehr wohl offen, hat statt der Waage einen Ölzweig und statt der stumpfen, schartigen Klinge ein geschärftes Schwert. Manche halten das Zweiglein für ein Zeichen angebotenen Friedens, sehr offenkundig aber ist es das erste Reisigstück zum künftigen Scheiterhaufen, geköpft seist du oder verbrannt, darum, wenn schon gegen das Gesetz verstoßen sein muss, dann lieber die Ehefrau erdolcht, rein aus Verdacht, dass sie dich betrog, als dass du die treuen, gläubigen Toten nicht ehrst, Hauptsache, einer hat Beschützer, die den Mord entschuldigen, sowie tausend Cruzados für die Waagschale, denn zu nichts anderem hält Justitia die Waage in der Hand. Bestraft seien Neger und gemeines Volk, damit der Wert des statuierten Exempels nicht verlorengehe, doch ehre man die guten und begüterten Leute, fordere ihnen nicht ab, ihre Schulden zu begleichen, der Rache zu entsagen, den Hass abzulegen, und, kommt es, da nicht immer vermeidbar, zum Prozess, dann fleißig Rechtsverdrehung, Schwindel, Berufung, formale Vorschriften und Umschweife angewandt, damit spät siegt, wer rechtens rasch hätte siegen müssen, damit spät verliert, wer rasch hätte verlieren müssen. Unterdessen wird den Zitzen die gute Milch abgemolken, will heißen das Geld, die reiche Sahne, die beste Fettmasse, die Speise des Vogts und Rechtsberaters, des Advokaten und Vernehmers, des Zeugen und Richters, und wenn hier einer ungenannt blieb, so weil Pater António Vieira ihn aufzuführen vergaß und sich jetzt nicht mehr erinnert.

Dies sind die sichtbaren Gerichte. Von den unsichtbaren ließe sich zum mindesten sagen, dass sie blind und unheilträchtig sind, wie letzthin bewiesen mit dem Untergang der Barke, auf der die Infanten Dom Francisco und Dom Miguel, beide Brüder des Königs, von der Jagd jenseits des Tejo heimkehrten, eine jähe Bö drückte ihnen das Segel nieder, sie kenterten, Dom Miguel jedenfalls ertrank, und Dom Francisco kam mit dem Leben davon, dabei das Gegenteil ehrliches Recht gewesen wäre, nur zu bekannt sind die Untaten des Letzteren, er stellt der Königin nach, giert nach dem Königsthron, schießt auf Seeleute, solches vom anderen nicht zu vermelden ist, außer minder Schlimmes. Freilich dürfen wir nicht leichtfertig urteilen, vielleicht hat sich Dom Francisco zur Reue bekehrt, vielleicht büßte Dom Miguel dafür, dass er den Bootsmann hörnte oder ihm die Tochter verführte, voll von solchen Taten ist die Geschichte der Königshäuser.

Was man letztlich erfuhr, war, dass der König, aber nicht er in Person, sondern die Krone, den Streitfall verlor, den er seit 1640 gegen den Herzog von Aveiro führte. Mehr als achtzig Jahre die zwei Häuser vor den Gerichten, das der Aveiros



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